Haus der Landschaft
Wie das „Haus der Landschaft“ in den Besitz der Stadt kam: Ein Blick in die Landtagsprotokolle von 1967
Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 45) / von Herbert Reyer
Neben dem klassischen Schriftgut, wie Urkunden, Amtsbücher und Akten der Hildesheimer Stadtverwaltung bewahrt das Stadtarchiv auch eine Quellengruppe auf, deren Bedeutung über den lokalen Bereich hinausgeht. Gemeint ist die spezielle Bestandsgruppe der recht umfänglichen Amtsdrucksachen und Parlamentsprotokolle (Bestände 501 bis 540). Dazu zählen etwa die langen Reihen der Amts- und Gesetzesblätter, so zum Beispiel das 1849 einsetzende Amtsblatt des königlich-hannoverschen Landdrostei-Bezirks Hildesheim (Bestand 501) und das mit dem Jahr 1867 beginnende Amtsblatt der preußischen und späteren niedersächsischen Regierung in Hildesheim (Bestand 503) oder die Amtsblätter des Alliierten Kontrollrates in Deutschland von 1945 bis 1948 (Bestand 507). Hierzu zählen ferner zum Beispiel die Stenographischen Berichte der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 (Bestand 531) und des Deutschen Reichstages (1867-1918; Bestand 533) sowie die Protokolle des Niedersächsischen Landtages (seit 1947; Bestand 538), deren Kenntnis vielfach erst manche in der Stadtgeschichte fassbare Veränderungen und Strukturen verständlich macht. Gerade die Parlamentsprotokolle, die uns im folgenden zum Thema „Haus der Landschaft“ besonders interessieren, spiegeln zwangsläufig wichtige Vorgänge wider, die auf einer höheren Entscheidungsebene stattfanden und sich unmittelbar vor Ort auswirkten. Neben den parallel dazu in der lokalen Überlieferung vorhandenen Unterlagen ergänzen die Protokolle unser Wissen aus einem anderen Blickwinkel heraus. In unserem Fall, der hier beispielhaft angeführt werden soll, geht es um die Erwerbung der einst im Besitz des Landes befindlichen Kriegsruine Am Steine 7, in der heute das Stadtarchiv untergebracht ist. Das 1715 als repräsentative „Kurie“ des Domherren Anton von Bocholtz errichtete Gebäude gelangte nach der Säkularisation des Hochstifts Hildesheim (1802) zunächst in preußischen Besitz und später in die Hand des Königreichs Hannover. Der hannoversche Staat überließ es der Hildesheimer Landschaft, der vorparlamentarischen Vertretung der „Landstände“ im einstigen Hochstift Hildesheim, die bestimmte Kompetenzen ins 19. Jahrhundert hinüberretten konnten. Am 22. März 1945 wurde das Gebäude wie die gesamte Altstadt während des verheerenden Bombenangriffs auf Hildesheim zerstört. Nur folgerichtig kam die bis dahin dem Staat Preußen gehörende Ruine des „Landschaftshauses“ nach 1946 in den Besitz des Landes Niedersachsen. In den fünfziger Jahren bestand noch die Absicht des Landes, die Ruine wieder herzurichten und zur Unterbringung einer Landesbehörde zu nutzen. Es war daran gedacht, im Landschaftshaus evtl. den Landesrechnungshof oder das Hildesheimer Amtsgericht unterzubringen. Aus den Absichtserklärungen wurde nichts. Seit den sechziger Jahren mehrten sich die Stimmen in der Stadt, die den Anblick der Ruine nicht länger dulden mochten. Und es ergab sich zudem seitens der Stadt dringender Bedarf, die Lagerungs- und Ausstellungsflächen des Museums zu vergrößern und die bislang von Stadtarchiv und Stadtbibliothek belegten Räume im alten Bau des Pelizaeusmuseums zu nutzen. Auch Archiv und Bibliothek litten unter der unerträglichen Enge. So kam es, dass die in unmittelbarer Nachbarschaft der beengten städtischen Kultureinrichtungen stehende Kriegsruine in das Blickfeld der Stadt geriet. Zugleich bestand aber auch seitens des Landes Niedersachsen ein Interesse an Liegenschaften der Stadt. Schon im Februar 1964 beschloss der Hildesheimer Rat, bei einem erfolgreichen Grundstückstausch mit dem Land und einer dann möglichen Übernahme der Ruine das Gebäude wiederherzustellen und das Landschaftshaus dann für Archiv- und Bibliothekszwecke nutzen zu wollen. Es schlossen sich langwierige Tauschverhandlungen zwischen Stadt und Land an, deren Ergebnis am 14. Dezember 1967 durch einen entsprechenden Beschluss des Landtages bestätigt wurde. Der Rat stimmte dem Verhandlungsergebnis bereits in seiner Sitzung am 9. Oktober 1967 zu.
Die hier interessierenden Stenographischen Berichte der Verhandlungen des Niedersächsischen Landtages eröffnen den Blick auf diesen Vorgang aus der Warte des Landes (Stadtarchiv-Signatur: Best. 538 Nr. 55: Protokollband und Nr. 59: Anlageband): Nach den Grundstückstauschverhandlungen mit der Stadt, deren Ergebnisse im Finanzministerium am 15.8.1967 akzeptiert worden waren, fertigte das Ministerium am 27. September eine Beschlussvorlage für den Landtag. In dieser Regierungsvorlage wurden ausführlich Umfang, finanzielle Auswirkungen und Motive des vorgesehenen Grundstückstauschs beschrieben. Danach diente der Tausch der „Bereinigung der Grundstücksverhältnisse in der Stadt Hildesheim“ und lag „im wirtschaftlichen Interesse des Landes.“ Die Vorlage betont, dass die an die Stadt zu übereignenden insgesamt 3 Grundstücke „für kommunale Aufgaben“ benötigt würden. Im Gegenzug solle das Land ein Grundstück im Bereich der Innenstadt erhalten. Im einzelnen handelte es sich bei den landeseigenen Grundstücken um die Ruine des Landschaftshauses nebst Grundstück sowie um die Grundstücke Am Eselsgraben und am Zingel 26. Das Land Niedersachsen sollte hingegen das Grundstück Stresemannstraße erhalten, auf dem man damals den Neubau eines Sozialgerichts plante. Die drei Landesgrundstücke (7669 qm) wurden auf einen Kaufpreis von DM 552.275,- festgesetzt, für das städtische Grundstück (3810 qm) war ein Kaufpreis von 171.450 DM festgesetzt worden. Die Stadt war bereit, den Differenzbetrag von DM 380.825 an das Land zu zahlen. Grundlage der Kostenfestsetzung war ein im April 1967 erstelltes Gutachten, das den Verkehrswert der Grundstücke in der genannten Höhe ermittelt hatte. Der Landtag hatte die Regierungsvorlage in erster Lesung am 9. November 1967 verabschiedet und dem Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen. Dieser empfahl dem Landtag durch eigenen Ausschussantrag, der Vorlage zuzustimmen. Damit gelangte der beabsichtigte Grundstückstausch in zweiter und dritter Lesung in die Sitzung des Landtags vom 14. Dezember 1967. Der hannoversche Abgeordnete Homeier (FDP) trug den Ausschussantrag vor und empfahl, dem Vorschlag der Regierung zuzustimmen. Dies geschah ohne jegliche weitere Aussprache. Landtagspräsident Baumgarten stellte einmütige Zustimmung fest. Damit war der Tausch beschlossen und es waren endlich auch von Seiten des Landes die Entscheidungen getroffen. Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung konnte schließlich in einer großen Schlagzeile in ihrer Ausgabe vom 4. Januar 1968 verkünden: „Stadt kann jetzt über Landschaftsgebäude verfügen“. Die Verwirklichung der Ausbaupläne ließ freilich noch länger auf sich warten. Erst 1971 wurde der Bau des Landschaftshauses in Angriff genommen. Dann ruhte der Bau wegen fehlender Mittel für einige Jahre, ehe es gelang, das Landschaftshaus endlich nach einem zweiten Anlauf im Herbst 1975 als neues Domizil des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek zu eröffnen.
"Aus der Heimat" - Heimatbeilage der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 02.09.2000